Hier spricht die Musik!
Here, the music speaks for itself!
Unser Gehirn – nicht einmal 1500 Gramm grauer und weißer Substanz – steuert unser gesamtes Erleben, Denken, Fühlen und
Handeln. Es lässt uns beim Hören unserer Lieblingsmusik eine Gänsehaut über den Rücken laufen oder dekodiert im
Millisekundenbereich, was uns unser Gegenüber sagen will – ohne dass wir uns der komplexen Maschinerie im Hintergrund
überhaupt bewusst werden.
Deutlich wird die Präzision dieses Netzwerkes häufig erst, wenn Teile davon ausfallen, und damit Teile des Sprachverstehens,
der Motorik oder des Gedächtnisses. Die Auswirkungen von Hirnschäden habe ich in meinem Studium der Psychologie an der
Universität Leipzig und Université de Strasbourg in Frankreich sehr früh kennen gelernt – und sie haben meinen Berufswunsch
geprägt: Neuropsychologin. Meine Vorstellung damals war, eines Tages genau zu wissen, welches Hirnareal welche Funktion
besitzt, um z.B. Seite an Seite mit den Neurochirurgen diskutieren zu können, welches Gewebe bei einer Hirn-OP entfernt und
welches aufgrund zu erwartender Funktionsausfälle erhalten werden müsse.
Dieses Ziel vor Augen habe ich bereits während meines Studiums die einzigartige Möglichkeit genutzt, an der Forschung des
Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaft in Leipzig aktiv teilzunehmen. Meine Diplomarbeit in der
Selbständigen Nachwuchsgruppe „Neurokognition der Musik“ unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Koelsch hat mich hier
besonders geprägt und mir das bis dahin noch weitestgehend unerforschte Gebiet der vergleichenden Musik- und Sprachforschung
erschlossen: Obwohl es uns unmöglich erscheinen mag, Beethovens 5. Sinfonie jemals irrtümlich für eine politische Rede zu
halten, sind sich Musik und Sprache in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich.
Seit meiner Promotion am Max-Planck-Institut in Leipzig unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Friederici untersuche ich aus
verschiedenen Blickwinkeln heraus, welche Areale des menschlichen Gehirns kognitive Prozesse wie Sprache und Musik
beherbergen und wie sie sich dabei funktionell ergänzen. Hierzu habe ich beispielsweise an den Universitätskliniken in Bonn
und Freiburg im Breisgau mit Epilepsie-Patienten gearbeitet, bei denen Elektroden im Gehirn implantiert waren, um
epileptisches Gewebe zu identifizieren. Ein diagnostisch und wissenschaftlich interessanter Nebeneffekt dieser Elektroden
ist, dass Hirnfunktionen um das defekte Gewebe herum ebenfalls identifiziert werden können, so auch Sprach- und
Musikverarbeitung. Auf diesem Weg konnte ich herausfinden, dass das menschliche Gehirn beim Hören von grammatischen Fehlern
in Musik oder Sprache neuroanatomisch sehr ähnliche Hirnareale einsetzt. Später habe ich in Paris, am Hôpital de la
Pitié-Salpêtrière, zusammen mit den französischen Kollegen die Verarbeitung von Melodie- und Textkomponenten bei Liedern
untersucht.
Die hervorragende Möglichkeit, eine Otto-Hahn-Gruppe zu leiten, werde ich nutzen, um mich der Schnittstelle zwischen Musik und Prosodie – der Melodie der Sprache – zu widmen. Hier
interessiert mich in erster Linie, wie die Art etwas zu sagen, z.B. mit einem fragenden, skeptischen oder bestimmenden
Unterton, unser Sprachverständnis beeinflusst und inwiefern Musikalität dabei hilft, feine Tonnuancen der Stimme
wahrzunehmen.
Mein Kernziel für die Zukunft ist und bleibt weiterhin, das grundlegende Zusammenspiel von Hirnarealen und deren Funktion zu
verstehen und einige der weißen Flecken auf der Landkarte unseres Gehirns zu entschlüsseln, die der Neurochirurg seinen
Entscheidungen bei der OP-Planung vielleicht einmal zugrunde legen wird.
Our brain – not even 1500 grams of grey and white matter – coordinates everything we experience, think, feel, and do.
It sends shivers down our spine when we are listening to our favourite piece of music, and it decodes within milliseconds
what our conversational partner intends to say – and we don’t even notice the complex operations behind this.
The precision of these cerebral operations usually only becomes apparent when some of them stop working, resulting in a
loss of language comprehension, motor control, or memory. When I was studying psychology at the University of Leipzig and
the Université de Strasbourg in France, I very quickly learned what kind of devastating effects brain damage can have –
and it was this experience that set me on the path of my future career: to become a neuropsychologist. Back then, I
imagined that one day I would know for sure which parts of the brain host which kind of function, enabling me to discuss
with neurosurgeons which brain tissue could be removed during surgery and which tissue should be preserved in order to
prevent malfunctions.
With this objective in mind, I took the opportunity to play an active part in the research at the Max Planck Institute for
Human Cognitive and Brain Sciences when I was still an undergraduate. In particular, my diploma thesis, carried out in the
Independent Junior Research Group of Professor Stefan Koelsch, shaped my way and brought me into contact with the hitherto
little-studied area of comparative musicology and linguistics: Although it seems impossible to mistake Beethoven’s fifth
symphony for a political speech, music and speech are very much alike.
To this end, I worked with epilepsy patients at the university clinics in Bonn and Freiburg, work which involved implanting
electrodes into the brain to identify epileptic tissue. A diagnostically and scientifically interesting side-effect of
these electrodes is that brain functions surrounding the defective tissue, and likewise therefore the processing of
language and music, can also be identified. Through this work, I discovered that grammatical mistakes in music or speech
are processed in neuroanatomically very similar areas. Later on, I investigated the processing of melody and text
components in songs together with French colleagues at the Hôpital de la Pitié-Salpêtrière in Paris.
Having been given the unique opportunity to head my own Otto Hahn Group, I will be focusing my research on the interface of
music and prosody, i.e. the melody of speech. What interests me most is how intonation – e.g. speaking with an
interrogative, sceptical or determinative vocal tone – affects our understanding of speech and to what extent musicality
shapes the perception of subtle voice nuances.
The most important goal for my professional future is and remains the understanding of the interplay between brain areas
and their functions. With this knowledge, I hope to contribute to the mapping of the terra incognita that our brain is and
to help provide neurosurgeons with detailed information necessary for the planning of surgical procedures.